Was bedeutet ein Black Belt wirklich?

(von K.W.Pang aus "Martial Arts Training" ,Juli 1991)

 

Bedingt durch die Beliebtheit dieser Kolumne erhalte ich Zuschriften aus dem ganzen Land. Die am häufigsten gestellte Frage ist "Wie bekomme ich einen schwarzen Gurt?". Ich weiß nicht, wie diese Frage in anderen Schulen beantwortet wird, aber meine Schüler wissen, daß sie eine solche Frage in meinem Dojo um einige Jahre  in ihrem Training zurückwerfen würde.
Die meisten Leute wären überglücklich, wenn ich ihnen sagen würde, daß man nur einige Jahre braucht, um einen schwarzen Gurt zu erreichen, aber das ist nicht der Fall. Da ich annehme, daß die meisten Leute mit meiner Antwort unzufrieden wären, denke ich, daß mit den grundlegenden falschen Vorstellungen über den schwarzen Gurt aufgeräumt werden muß. Das ist kein angenehmes Thema, wenn ich darüber diskutiere. Ich warne meine Schüler, diese Frage anfangs nicht zu stellen. Die Antwort ist nicht, was sie hören wollen.


Wie erreicht man einen schwarzen Gurt? Man sucht sich einen kompetenten Lehrer und eine gute Schule und fängt an, hart dafür zu arbeiten. Irgendwann ist es dann soweit. Es ist nicht leicht, aber es ist es wert. Es kann ein Jahr dauern; es kann zehn Jahre dauern. Es kann sein, daß man ihn nie erreicht. Wenn man an der Stelle angelangt ist, an der man erkennt, daß der schwarze Gurt nicht so wichtig wie das Training selbst ist, nähert man sich wahrscheinlich dem schwarzen Gurt. Wenn
man erkennt, daß, egal wie lang oder wie hart man trainiert, man ein Leben lang trainieren und lernen muß, ist man wahrscheinlich schon kurz vor einem schwarzen Gurt.

 


Die erste Stufe eines schwarzen Gurtes wird in Japan Shodan genannt. Sho hat die zwei Bedeutungen "Kleidung" und "Messer". Um ein Kleidungsstück herzustellen, muß zuerst die Form aus einem Stoffstück geschnitten werden. Die Form bestimmt das Aussehen des fertigen Kleidungsstücks. Wird beim Ausschneiden ein Fehler begangen, wird das Kleidungsstück schlecht aussehen und nicht richtig passen. Auf die gleiche Weise ist das Training zum schwarzen Gurt hin sehr wichtig; es
bestimmt, wie man als Danträger sein wird. In meinen vielen Lehrjahren habe ich bemerkt, daß Schüler, die nur daran denken, ihren schwarzen Gurt zu machen, schnell entmutigt sind, wenn sie erkennen, daß es schwerer ist, als sie erwarteten. Schüler, die nur kommen, um zu trainieren, ohne an Gürtelränge zu denken, sind immer besser. Sie lassen sich nicht von Neid oder unrealistischen Zielen behindern.
Es gibt eine berühmte Geschichte über Yagyu Matajuro, Sohn der berühmten Schwertkämpfer Familie Yagyu im siebzehnten Jahrhundert des feudalen Japans. Er wurde wegen Mangels an Talent und Potential aus der Familie ausgestoßen und suchte deshalb den Schwertmeister Tsukahara Bokuden in der Hoffnung auf, seine Familienposition wieder einnehmen zu können. In seinem ersten Gespräch mit Bokuden fragte Matajuro ihn, wie lange es dauern würde, bis er den Schwertkampf gemeistert habe. "Etwa fünf Jahre, wenn Du sehr hart trainierst.", antwortete Bokuden. "Wenn ich doppelt so hart trainiere, wie lange wird es dann dauern?" "In diesem Fall wirst Du zehn Jahre brauchen.", entgegnete Bokuden.

Auf was konzentriert man sich nun, wenn man sich nicht auf das Erreichen des schwarzen Gurtes konzentriert? Es ist leichter gesagt, als getan, aber man muß seine Energie auf das Üben konzentrieren. Zu denken, "Ich werde mich auf mein Training für den schwarzen Gurt konzentrieren", führt nur zur eigenen Enttäuschung. Kann man sich einfach sagen, daß man Gürtelränge total ignoriert? Kann man sich einfach selbst sagen, daß man ihn nie erreichen wird? Kann man sich einfach auf das Training konzentrieren, ohne etwas anderes zu beachten? Kann man schließlich erkennen, daß ein schwarzer Gürtel nicht mehr ist, als "etwas, das die Hose oben hält"?.

 


Wie konzentrieren wir uns auf unser Training? Erfolgreiches Training, das heißt zum Großteil, das Training von einem realistischen Standpunkt aus zu betrachten. Oftmals sehen wir keine realistischen Ziele, sondern nur Träume und Illusionen. Möchtest Du eine Kampfsportart erlernen, um Dich und Dein Leben zu verbessern, oder wurdest Du einfach von irgendeinem Film motiviert? Es ist erstaunlich, wie viele Kampfsport-Anfänger sagen, sie wollen wie Chuck Norris oder Steven Seagal
sein. Aber Du bist Du selbst. Wir haben alle unsere Helden, unsere Vorbilder, unsere Träume. Aber wir müssen zwischen Realität und Fantasie unterscheiden, wenn das Training erfolgreich sein soll. Training hat nichts mit Rängen, schwarzen Gürteln, Trophäen oder Auszeichnungen zu tun. Kampfkunst heißt nicht einfach, seine Fantasien auszuleben. Sie haben mit dem eigenen Leben und Tod zu tun. Es geht nicht nur darum, wie wir uns in einer kritischen, tödlichen Situation verteidigen, sondern auch wie wir das Leben anderer beschützen. Du kannst nicht einfach jemand anderes sein, egal ob er jetzt Filmstar oder Multi-Millionär ist. Du musst Du selbst werden, Dein wahres ich finden. So sehr John Doe auch davon träumt, James Dean, Bruce Lee, oder Donald Trump zu sein, kann er immer nur John Doe sein. Wenn John Doe ein hundertprozentiger John Doe wird, hat er sich selbst gefunden. Eine durchschnittliche Person lebt nur 50 Prozent, vielleicht auch 80 Prozent, ihres Lebens und weiß nie, wer sie eigentlich ist. Jemand, der eine Kampfkunst beherrscht, lebt 100 Prozent seines Lebens und wird tadellos. Das ist, was der wahre Danträger erkennen muß. Es ist niemand anderes als er selbst, und sein Training führt zur Selbsterkenntnis.

Stell Dir vor, den Schwarzgurt zu verlieren, ihn nicht zu erhalten. Sawaki Kodo, ein Zen Meister, sagte oft "Etwas zu erhalten bedeutet Leiden, etwas zu verlieren bedeutet Erlösung". Wenn mich jemand nach dem Unterschied der Kampfkünste vergangener Generationen und der heutigen Kampfkunst fragen würde, ich würde wie folgt antworten. Kämpfer früherer Generationen sahen das Training als "Verlust" an. Sie gaben alles für die Kunst und das Training auf. Sie gaben ihre Familien,
Berufe, Sicherheit, Ruhm, Geld, alles auf, um sich selbst zu vollenden. Heute denken wir nur an gewinnen. "Ich will dies, ich will das." Wir wollen Kampfkünste erlernen, aber wir wollen auch Geld, ein schönes Auto, Ruhm, schnurlose Telefone und alles was jeder andere auch hat. Shakyamuni Buddha gab sein Königreich, seine Paläste, seine wunderschöne Frau und alles andere auf, um endlich die Vollendung zu finden. Der erste Schüler von Boddhidharma, der als Gründer des Shaolin Kung Fu vermutet wird, schlug sich den linken Arm ab, um mit seinem Meister trainieren zu können. Wir müssen keine zu drastischen Maßnahmen ergreifen, um heutzutage Kampfkünste zu erlernen, aber wir sollten nicht den Geist der großen Meister der Vergangenheit vergessen. Wir müssen erkennen, daß wir Opfer in unserem Leben machen müssen, wenn wir unser Training verfolgen wollen.
Wenn ein Schüler sein Training vom Standpunkt des Verlierens anstatt des Gewinnens betrachtet, kommt er nahe an die Einstellung der Meister, und wird reif für einen schwarzen Gurt. Erst wenn Du alle Gedanken an Ränge, Gürtel, Ruhm, Geld aufgibst, wirst das erreichen, was wirklich wichtig im Training ist. Kümmere Dich um andere und sehe jeden anderen als wichtiger als Dich selbst an. Kampfkünste zu studieren heißt Dich selbst zu studieren, Dein wahres ich. Es hat nichts mit Rängen zu tun.

Ein großer Zen-Meister sagte einmal: "Sich selbst zu studieren heißt sich selbst zu vergessen. Sich selbst zu vergessen heißt alles zu verstehen."

K.W.Pang

 


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